HIGHGATE - Eine ägyptische Gräberstraße in London

Big Ben - London
Big Ben
Bus
Londoner Bus mit Werbung für die Tut-Ausstellung

Wieder einmal sind wir in Sachen Ägypten unterwegs: Basim, Abul-Kersch, Zeina und Hanan von den Freundeskreisen der ägyptischen Museen München und Berlin, - diesmal in London, aktuell angelockt von der Ägypten-Ausstellung im 02-Dome, „Tutankhamun and the Golden Age of the Pharaos“.  Für Amarna-Fans eine gute Adresse. Da im Kairener Museum viele der wirklich wunderschönen Stücke von Tut-Ench-Amuns Grabschatz in der Masse der Exponate untergehen, war es sehr angenehm, einige ausgewählte Objekte sowie eine Anzahl von bislang nicht ausgestellten Stücken der Zeit vor Tut-Ench-Amun in der optisch sehr ansprechend präsentierten Ausstellung separiert betrachten zu können. Eine Ausstellung, deren Ausprägung durch die Kairener Ägyptologie im anschließenden Fan-Shop mit dem Angebot eines Zahi-Hawass-Cowboyhuts seinen Höhepunkt findet.

Sphinx an der Themse
Ägyptisierendes auf den Londoner Straßen
Bank an der Themse
Bank mit Sphingen an der Themse

British Museum innen
Im British Museum

Das British Museum mit den vielen hochkarätigen Ausstellungstücken wurde von uns trotz lärmiger Touristenscharen tapfer und mehrfach besucht, ebenso das Petrie-Museum, das zum University College London gehört und wo es viel Spaß machte, mit der Taschenlampe in den dunklen Vitrinen die vielen Schätze zu entdecken.

 

Eine Abwechslung bot uns das Sir John Soanes Museum, wo unter allerlei sonstigen Sammlerstücken die Alabaster-Sargwanne von Sethos I. zu finden ist. In diesem ehemaligen Wohnhaus des Architekten John Soanes erwartete uns noch als Extra-Überraschung die Sonderausstellung „The Neues Museum Berlin - Restoration, Repair and Intervention - David Chipperfield Architects“ mit vielen Originalzeichnungen zu den Arbeiten am Neuen Museum.

Auch die hochgelobte Hadrian-Ausstellung im British-Museum bot mit der bewegenden Geschichte um Antinous und dem Canopustal der Villa Hadriana in Tivoli Ägyptisches.

 

Eine der besonderen Unternehmungen, die wir uns für unsere ägyptomane Woche vorgenommen hatten, war ein Besuch im Highgate Cemetery. Dieser Ausflug in den Norden Londons war Basims Idee, da er von einer ägyptischen Gräberallee, die es dort zu sehen gibt, Kenntnis hatte. Und der Besuch war unerwartet eindrucksvoll.

 

Highgate Cemetery - The Victorian Exposition of Death

Gräberreihe

Die Geschichte beginnt um das Jahr 1800, als London mit fast 1 Million Einwohnern die größte Stadt der Welt war. Diese Zahl stieg bis 1850 bereits um mehr als das Doppelte. Für die Kirchenfriedhöfe Londons bedeutete das eine Menge von ca. 52.000 Toten jährlich, was zu einem unvermeidlichen Engpaß im Platzangebot für Bestattungen führte. Die Situation war derart katastrophal, daß die Toten jeweils innerhalb kurzer Zeit wieder exhuminiert werden mußten, da bereits die nächsten Toten auf einen Platz in der Erde warteten, und sie konnten auch nicht mehr tief genug begraben werden, um die vielen Leichenschänder, Grabräuber und Tiere abzuhalten. Die Friedhöfe drohten so zu einem gefährlichen Seuchenherd zu werden, und die Menschen wußten ihre verstorbenen Angehörigen in den örtlichen Kirchenfriedhöfen nicht mehr gut aufbewahrt. Dieser unerträglichen Situation Rechnung tragend, beschloß das Parlament, sieben neue Friedhöfe in einem Ring um den Londoner Stadtrand mit jeweils privater Verwaltung zu eröffnen. Diese wurden später bekannt als die „Magnificent Seven“, wovon der Friedhof in Highgate bis heute als der schönste gilt.

Grabstein und Kreuz

Highgate Cemetery West wurde 1839 eröffnet, und der östliche Teil als Erweiterung im Jahre 1854. Die beiden Teile liegen direkt benachbart an einem Richtung Süden gewandten Hang des Highgate Hill mit Blick auf London bis hin zur Themse  und sind nur durch eine öffentliche Straße getrennt. Ein interessantes Detail ist, daß ein Tunnel die beiden Bereiche verbindet, damit die Sarkophage auf einem Katafalk von der Aussegnungskapelle, welche sich im westlichen Teil befindet, auch zum östlichen Teil verbracht werden konnten ohne den Straßenverkehr zu beeinträchtigen.

 

Mit dem Friedhof am Highgate Hill hatten Familien nun die Möglichkeit, eigene bewachte Grabstätten auf Lebenszeit käuflich zu erwerben. Dies entwickelte sich zu einem äußerst lukrativen Geschäft. Highgate Cemetery wurde ein trendiger Begräbnisort der finanziell besser gestellten Bevölkerung. Der Friedhof wurde zu einer Sehenswürdigkeit mit dem Flair eines Parks, denn die viktorianische Einstellung zum Tod und dessen Präsentation führte zu einem Überfluß an aufwändig gestalteten Grabanlagen und -monumenten in den unterschiedlichsten Formen. Und so gibt es dort Mausoleen und Kapellen, Katakomben und Grüfte, Grabsteine und Kreuze in endlosen Variationen.

Pyramiden-Grabstein
Pyramidenförmiger Grabstein

Die Friedhofsgesellschaft bekam im Laufe der Zeit finanzielle Probleme, die Verwaltung der Nekropole wurde aufwändig und unrentabel, und so wurde das Gelände vernachlässigt, die Bewachung ungenügend, Erdrutsche fanden statt, Vandalen fielen über Gräber her, und viele Grabstätten verwahrlosten und verschwanden im wild wuchernden Unterholz.

 

 

Und so wurde der Friedhof um 1960 zu einem perfekten Ambiente für Geisterjäger, Okkultismus, Vampirspiele,  Hexen- und Teufelskult.

 

1963 kamen erste Berichte über Begegnungen mit Untoten in die Medien, und schon bald wurde das Gelände schaurig berühmt für die Legende des Highgate Vampirs, den verschiedene Mondscheinspaziergänger und Abenteuersuchende gesehen haben wollten. Die Konkurrenten Farrant, Blood (sic!) und Manchester betätigten sich publikumswirksam als Exorzisten. Am Freitag, den 13. März 1970 berichteten Zeitungen und Fernsehen von dem Spektakel einer Massenjagd auf den Vampir.

Die übrigens ergebnislos blieb.

 

Highgate West wurde 1975 aus finanziellen Gründen geschlossen.

 

In den späten 70er/Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts kaufte der Verein „Friends of Highgate Cemetery“ (FOHC) beide Teile des Friedhofs zu einem symbolischen Preis und verhinderte dadurch ihre Vermarktung als Baugrundstücke. Die FOHC hat sich zum Ziel gesetzt, den Friedhof zu bewahren und die Denkmäler zu restaurieren. Finanziert wird das durch Spenden, Eintrittsgelder, ehrenamtliche Helfer und durch den wiederaufgenommenen Verkauf von Grabstätten. Somit sind beide Teile des Friedhofs wieder in Funktion; der westliche Teil ist jedoch nur mit einer Führung zu besichtigen - sofern man die strengen Besuchsregeln befolgt.

Graeber im Gras
Verwilderte Grabanlagen
Grabsteine + Kreuz
Licht und Schatten

Wir sahen auf unserer geführten Tour durch Highgate West neben den formschönen keltischen Kreuzen, den obligatorischen Engeln mit ihren wallenden Gewändern und milden Gesichtern auch abgebrochene griechische Säulen als Symbol des Todes, steinerne Urnen, über die ein ebenso steinernes Tuch gebreitet ist, klassische Kenotaphe und natürlich auch Obelisken und Mini-Pyramiden. Auf Grabsteinen weinen Hinterbliebene noch immer im griechischen Stil, dort ist eine steinerne Buchrolle, die von einem verlorenen Leben berichtet, hier ist ein gotisches Kapellchen, dort ein graziler Turm gleichen Stils, die von der Wichtigkeit der Verstorbenen zeugen sollen. Auch viele fantasievolle Grabstätten, die keinem anderen Stil zuzuordnen sind als dem der Monumentalität. Besonders ansprechend sind  das unbefangen grasende Pferd, der schlafende Löwe mit seiner prächtigen Mähne und der treue Jagdhund, der schon seit so vielen Jahren das Grab seiner Besitzer bewacht.

Pferd
Hund

Engel, schlafend
Schlafender Engel
Löwe
Schlafender Löwe

Klavier
Steinernes Klavier

Natürlich berichten viele Grabstätten auch von den Berufen oder Neigungen der Besitzer – Hufeisen stehen für einen Fuhrunternehmer, ein Fußballspieler ist graviert in einen spiegelnden modernen Grabstein im östlichen Teil des Friedhofs, wo wir auch den vielleicht ungewöhnlichsten aller Grabsteine fanden:  Den in Form eines Klaviers bzw. Flügels.

 

Im östlichen Teil ist es auch, wo wir Gräber sehen, die keinerlei christlichen Bezug aufweisen; es ist deutlich das islamische Glaubensbekenntnis zu lesen, andere Gräber zeugen durch ihre Gestaltung und Schriftzüge von Bekennern zu asiatischen Lebensphilosophien.  Hier steht auch die unübersehbar große Büste von Karl Marx (gest. 1883), die schon viele Pilger gesehen hat.

Im Laufe der Zeit wurden hier zahlreiche hochgestellte und bekannte Persönlichkeiten beigesetzt: Königliche Akademiker, Angehörige des Hofstaats, diverse Bürgermeister von London, und weitere herausragende Persönlichkeiten wie Michael Faraday (Entdecker des Elektromagnetismus), George Eliot (Schriftstellerin), William Friese-Greene (Vater der Kinematographie), Sir Rowland Hill (Erfinder der Briefmarke), - um nur einige zu nennen, - und alle sind, einer Inschrift zufolge „Lost to all but memory“.

 

 Der Highgate Cemetery umfaßt insgesamt 55.000 Gräber, 52.000 Grabsteine mit Inschriften von 166.000 Namen. Davon sind mehr als 60 Gräber denkmalgeschützt.

Gebrochener Engel
Gebrochener Engel
Schiefe Gräber
Schiefe Gräber

Die meisten Grabsteine und –kreuze stehen schief und scheinen sich aneinander lehnen zu wollen, die Erde hat sich gehoben und verschoben, Namen sind unleserlich, da mit Moos überwachsen, behauener Stein ist verwittert und unter Gras und Gebüsch versteckt. Es ist ein Totenwald von unvergleichlicher Atmosphäre und dem Hauch vergangener Pracht.

Schon einige Schritte hinter den Grabsteinen, die die Wege säumen, hat sich ein veritabler Dschungel breitgemacht, den sich die FOHC mit englischem Gefühl für Gartenbau als „managed neglect“ zu erhalten bemüht, um den Charme und die wilde Romantik des Ortes nicht zu zerstören. Daß in dieser Oase der Natur mit ihrer üppigen Flora und Fauna – viele Wildblumen- und Baumsorten, die ein Paradies für etliche Arten von Vögeln und Schmetterlingen sind -, auch eine Kolonie Füchse wohnt, will man gerne glauben.

 

Bereits der erste Architekt des Highgate Friedhofs, Stephen Geary, hatte im Western Cemetery ein ganz spezielles Gräberfeld anlegen lassen: Die “Egyptian Avenue” und den “Circle of Lebanon”.

Eingang Egyptian Avenue
Eingang zur Egyptian Avenue

Ach ja, richtig, deshalb waren wir ja hergekommen. Die übrige viktorianische Totenpracht mit ihrem Zauberwald hatte uns abgelenkt. Aber nun stehen wir vor dem Eingang zur ägyptischen Gräberstraße: Es handelt sich um ein großes Tor, dessen Form zwar recht fantasievoll ist, das aber von einem rein altäyptischen Rundstab mit den typischen Einkerbungen umrandet wird. Auf jeder Seite des Tores stehen zwei Säulen mit Lotusknospenkapitell, jeweils flankiert von einem Obelisken, von denen einer bereits abgebrochen ist.

Gang Egyptian Ave.
Egyptian Avenue

Das Tor führt in einen leicht ansteigenden Hohlweg, von dem auf jeder Seite 8 Gußeisentore in Familiengruften führen. Die Egyptian Avenue endet mit einem ebensolchen Tor, das jedoch etwas kleiner ist als das Eingangstor und das, zusammen mit der bergauf abnehmenden Wandhöhe die Gräberstraße optisch verlängert. Jedes Eisentor ist wiederum mit dem eingekerbten Rundstab umrandet, dessen Seiten schräg nach unten verlaufen, so daß die angedeutete Form an die geböschten Wände eines ägyptischen Tempelpylons erinnert. Hinter den Eisentoren befinden sich Familiengruften, die, wie uns erklärt wurde, aus einem kleinen rechteckigen Raum bestehen, der auf seinen 3 Seiten je 3 übereinander liegende Regale aufweist, so daß ein Grab (den Boden mitgerechnet) insgesamt für 12 Särge Platz bietet.

 

Das erste Familiengrab in der Egyptian Avenue wurde 1851 für 130 Guineen gekauft.

 

In einem dieser Gräber ist John Tenniel beigesetzt, der u.a. die Illustrationen zum Buch „Alice im Wunderland“ verfertigt hat. Die berühmteste Tote in der Egyptian Avenue ist jedoch zweifellos Marguerite Radclyffe Hall, die lesbische Schriftstellerin, die 1943 starb und zu ihrer Zeit mit ihrer freimütigen Einstellung für Aufregung sorgte.  Ihr Grab wurde in den letzten Jahren restauriert, und sie selbst bekam einen neuen äußeren Sarg, so daß sie jetzt in insgesamt 3 Särgen liegt. Das erinnert nun wirklich an pharaonische Bestattungssitten…

 

Mit dem Abschlußtor endet die Egyptian Avenue direkt im Rondell des Circle of Lebanon.

Grabtor Circle of Lebanon
Ägyptisierender Grabeingang im Circle of Lebanon
Im Circle of Lebanon
Im Circle of Lebanon
Plan
Plan der Ägyptisch-Libanesischen Anlage

Der Circle of Lebanon ist ein kreisrunder Hohlweg, über dessen mittleren, runden Teil sich eine 300 Jahre alte libanesische Zeder erhebt, die der Anlage ihren Namen gab. Von beiden Seiten des Kreises führen Eingangstore zu Familiengrüften.  Der Grabring ist, neben dem Eingang über die Egyptian Avenue, noch über 2 Treppen von außen zugänglich.

 

Die Katakomben, die in den inneren Teil des Rondells eingeschnitten sind, liegen also zwischen den Wurzeln des alten Baumes, der noch aus einer Zeit stammt, an dem der Boden noch gar nicht als Friedhof verwendet wurde.  Die Tore dieser Gräber sind in ägyptisierendem Stil gehalten, haben zum Teil, wie in der Egyptian Avenue, den Rundstab als Verzierung, jedoch ist hier die gesamte Türumrandung majestätisch nach vorne gesetzt, und das Tor wird von einer Hohlkehle gekrönt.

 

Die im Rondell außen liegenden Gräber, die erst 1870 hinzugefügt wurden, haben griechische Eingänge mit klassischem Giebeldreieck. Die Grabstätten des Circle of Lebanon sind alle etwas höher als die in der Egyptian Avenue und bieten Platz für jeweils 15 Särge. Die beiden Teile des Ensembles haben eine gemeinsame Kapazität von 52 Familiengrüften. Fast sämtliche Gräber besitzen noch die Originaltore aus Gußeisen, auf denen das Relief einer nach unten gedrehten Fackel zu sehen ist: Es ist das Symbol für ein ausgelöschtes Leben.

 

Die Erfolgsgeschichte des ägyptisch-libanesischen Ensembles begann langwierig und enttäuschend. Die ersten dieser Gräber wurden zwar 1839 verkauft (zu einem Preis von ca. 260 Guineen), die Menschen waren jedoch noch geprägt von dem Mißtrauen, das sie den Kirchenfriedhöfen entgegenbrachten und waren der Meinung, daß ein Grab in Highgate West, auf das so deutlich mit einem großen Tor aufmerksam gemacht wurde, leichter für Leichenschänder zugänglich war als ein Begräbnis in ungekennzeichneter Erde. Ein einziges Familiengrab im libanesischen Rondell konnte auch nach langer Zeit nicht verkauft werden, und so wird es bis heute als Columbarium („Taubenschlag“) verwendet, d.h. als Raum für Urnenbestattungen.

Gräber im Eastern Cemetary
Im Eastern Cemetary

Unser freundlicher Führer beendet seine unterhaltsamen Ausführungen und entläßt uns mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit von Spenden, die zur Erhaltung des Friedhofs benötigt würden und bemerkt dazu mit einer Prise britischen Humors, daß man uns im Notfall aber auch so rauslassen würde.  Die alte Dame des FOHC, die unübersehbar am Ausgang steht, klappert herausfordernd mit der Milchkanne, die ihr als Klingelbeutel dient.

 

Wir sind beruhigt: Hier wird wirklich alles getan, damit dieser altehrwürdige, ungewöhnliche und so unverschämt romantische Friedhof erhalten bleibt.

Auch Vampire wollen leben…

 

Birgit Hampl (Hanan) + Basim

August 2008